Quiet Quitting – keine leise Kündigung
Sie kennen es vielleicht selbst: Die Deadline ist morgen, aber die Präsentation muss zum zweiten Mal überarbeitet werden – also bleiben Sie länger. Die Kollegin, mit der Sie bisher zusammengearbeitet haben, hatte vor drei Monaten ihren letzten Tag, und seitdem schultern Sie ihre Aufgaben gleich mit. Und am Wochenende beantworten Sie nebenbei Mails, telefonieren und versuchen, das, was unter der Woche liegen geblieben ist, aufzuarbeiten …
Überstunden, Sonderaufgaben, ständige Erreichbarkeit, Arbeiten im Urlaub – für viele Arbeitnehmer*innen Alltag.
Zwar ist die Zahl der Überstunden rückläufig, die Deutschen leisteten im Jahr 2022 jedoch immerhin noch über eine Milliarde davon, was 809.000 Vollzeitstellen und 31 Überstunden pro Person entspricht. Und das zumeist unbezahlt.
Währenddessen fordert Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, dass die Berufstätigen wieder „mehr Bock auf Arbeit“ haben müssten.
Da erstaunt es kaum, dass parallel ein Phänomen in aller Munde ist, das eine Gegenreaktion zu sein scheint: Quiet Quitting.
Aber was bedeutet Quiet Quitting genau, welche Konsequenzen kann es für Arbeitgeber*innen haben und wie kann man ihm vorbeugen?
Was ist Quiet Quitting?
Im ersten Moment klingt Quiet Quitting nach etwas Negativem. Vor allem für Arbeitgeber*innen. Doch das muss es ganz und gar nicht sein. Wortwörtlich lässt es sich zwar mit „leises Kündigen“ übersetzen, bedeutet aber nicht genau das, sondern viel mehr, dass Arbeitnehmer*innen nur so arbeiten, wie es in ihrem Arbeitsvertrag festgelegt ist. Sozusagen „Dienst nach Vorschrift“ – ein ebenfalls nicht gerade positiv besetzter Begriff, der sich jedoch auf den Inhalt des Arbeitsvertrags beruft. Die vertraglich festgehaltenen Aufgaben und Pflichten werden eingehalten – und das ist nichts, was den Arbeitnehmer*innen vorgeworfen werden kann.
Mit „innerer Kündigung“ hat das Ganze also nichts zu tun, denn diese geht meist mit einer plötzlich geringeren Arbeitsleistung als Reaktion auf ein negatives Ereignis (z. B. Mobbing, Veränderungen, Konflikte) einher.
Geprägt wurde der Begriff „Quiet Quitting“ von TikToker Zaid Zeppelin, dessen dazugehöriges Video viral ging und mehrere Millionen Male angeklickt wurde – und daher anscheinend einen Nerv getroffen hatte.
Die ursprüngliche Verbreitung des Begriffs lässt auch erahnen, wer zumeist Quiet Quitting betreibt: die jüngeren Arbeitnehmer*innen. Die Ausnahme bestätigt auch hier natürlich wie immer die Regel, aber immerhin stimmen laut einer Studie mit 3.000 Befragten 56% der unter 20-jährigen, jedoch nur 24% der über 60-Jährigen zu, keine Überstunden akzeptieren zu wollen.
Wie können Sie Quiet Quitting erkennen?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Ihre Mitarbeitenden Ihnen mitteilen werden: „Ich arbeite nach der inneren Einstellung Quiet Quitting“. Oftmals werden sie sich dessen vielleicht nicht einmal selbst bewusst sein. Wie können Sie also erkennen, dass die Arbeit nur noch gemäß Arbeitsvertrag erledigt wird?
- Arbeitszeiten werden sehr genau eingehalten, egal, wie viel los ist, oder die Mitarbeitenden kommen tendenziell eher spät zur Arbeit, wenn es eine flexible Arbeitszeitregelung gibt.
- Ohne ersichtlichen Grund gehen die Produktivität und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zurück.
- Allgemein sind die Mitarbeitenden wenig enthusiastisch, motiviert oder engagiert.
- Projekte werden gar nicht erst angenommen oder nur halbherzig verfolgt.
- Die Mitarbeitenden ziehen sich eher zurück, nehmen nicht an Teamevents teil und suchen wenig Kontakt zu Kolleg*innen.
- Die Bereitschaft, Feedback zu geben, Meinungen zu äußern oder sich aktiv in Planungen einzubringen, ist ebenso gering wie das Engagement, sich an der Verbesserung von Prozessen und Abläufen zu beteiligen.
Welche Beweggründe stecken hinter Quiet Quitting?
Wohlstand adé
Die Generationen, die noch vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren konnten, kannten es: das Wohlstandsversprechen. Arbeite hart, dann wirst du belohnt. Es zahlte sich aus, Überstunden zu machen, ständig erreichbar zu sein und sein Privatleben zurückzustellen.
Das kleine bisschen Mehr war auch durchaus von Nöten, immerhin sind die „Babyboomer“ die geburtenstärkste Generation, die derzeit noch berufstätig ist. Da waren ein bisschen Ellenbogenmentalität und Engagement gefragt, wenn man aus der Masse hervorstechen und befördert werden wollte.
Durch politische (Fehl-)Entscheidungen und allerlei krisenhafte Ereignisse der vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahre, wie z. B. mehrere Wirtschaftskrisen, die Klimakrise und die Pandemie, ist das Vertrauen in das Wohlstandsversprechen jedoch erschüttert worden. Konnten sich die „Boomer“ und die Gen X z. B. noch durch ihrer Hände Arbeit (und ja, auch durch Sparen und Kredite) ein Eigenheim leisten, ist dies durch die massiv gestiegenen Immobilienpreise für die Gen Y und Gen Z nahezu unerreichbar geworden. Harte Arbeit „lohnt“ sich nicht mehr in dem Maße, in dem es sich früher noch lohnte.
Keine Lust auf Burnout
Sind die „jungen Leute“ also alle faul, schaukeln auf ihren Bürostühlen herum und machen überpünktlich Feierabend? Mitnichten. Auch die Angehörigen der Gen Y und Z sind engagierte, leistungsbereite Mitarbeiter*innen. Ihr Fokus ist jedoch ein anderer. Durch (zumeist) Väter, die sie oftmals nur am Wochenende zu Gesicht bekommen, überlastete Mütter und eine ständig schwelende Burnout-Gefährdung der Elterngeneration haben sie verinnerlicht, was Arbeit neben dem Wohlstandsversprechen mit den Menschen machen kann: ausbrennen, Kräfte zehren, Privatleben negativ beeinflussen. Und durch die Corona-Pandemie änderte sich die Sicht auf das Thema Work-Life-Balance zusätzlich.
In Kombination mit dem fehlenden Wohlstand führt dies (neben vielen anderen Faktoren) dazu, dass die jüngeren Generationen ein anderes Arbeitsethos haben. Sie arbeiten, um zu leben – und leben nicht, um zu arbeiten. Arbeit ist Mittel zum Zweck und ermöglicht, dass man sein Privatleben so gestalten kann, wie man möchte. Daher rührt z. B. auch die Forderung nach einer 4-Tage-Woche, die in immer mehr Unternehmen in der Praxis umgesetzt wird.
Sinn schlägt Geld
Außerdem erhoffen und erwarten die jüngeren Generationen zunehmend eine Sinnhaftigkeit im Beruf. „Geld verdienen“ alleine ist vielen nicht mehr genug, sie möchten gerne das Gefühl haben, mit ihrem Job etwas bewegen zu können – und sind dann auch sehr engagiert bei der Sache. Identifizieren sich besonders die jüngeren Generationen nicht mehr mit den Werten und Zielen des Unternehmens, für das sie arbeiten, sind sie jedoch weniger engagiert und motiviert.
Die Inflation frisst Gehälter auf
So ganz ohne Geld geht es natürlich auch bei der Generation Y und Z nicht, aber durch Inflation und Wirtschaftskrise ist deren Gehalt – und auch das der anderen Generationen – immer weniger wert. Betrug die Inflation im Juli 2022 z. B. 8 bis 9 Prozent, wurden die Gehälter nur um durchschnittlich 3,4% erhöht. Das kann dazu führen, dass die Arbeitnehmer*innen eine Diskrepanz zwischen ihrem Engagement und ihrer Entlohnung wahrnehmen – und demotiviert werden.
Überlastung durchstehen
Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels müssen Arbeitnehmer*innen oftmals den Personalmangel ausgleichen: mit Mehrarbeit, neuen Aufgaben und Überstunden. Eine mögliche Strategie, um diese Überlastung durchzustehen, ist Quiet Quitting. Denn wer unter Dauerstrom steht, kaum noch Ausgleich zum Stress im Job findet und sich irgendwann ausgebrannt fühlt, sucht nach Möglichkeiten, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren – oder sucht sich einen neuen Job.
Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Keine Frage, der Traum eines jeden Arbeitgebers ist ein „Quiet Quitter“ sicherlich nicht. Andererseits lassen sich die Arbeitnehmer*innen auch nichts zu Schulden kommen, weil sie ja die Leistung erbringen, die vertraglich festgelegt von ihnen erwartet wird. Mit Arbeitsverweigerung hat das also nichts zu tun – nur das Quäntchen mehr, das sich wohl die meisten Arbeitgeber*innen von Ihren Mitarbeitenden erhoffen und wünschen, wird eben nicht investiert.
In den meisten Fällen ist Quiet Quitting ein Ausdruck von Unzufriedenheit und deutet möglicherweise auf tiefgehende Probleme im Unternehmen hin: unzureichende Strukturen, schlechte Bezahlung, fehlende Perspektive, schlechte Kommunikation. Grund genug also, sich damit zu beschäftigen.
Problematisch am Quiet Quitting: Es kann „ansteckend“ wirken, denn niemand arbeitet gerne mit Kolleg*innen zusammen, die sich deutlich weniger engagieren als man selbst. Das kann auf Dauer demotivieren und die engagierteren Mitarbeitenden könnten sich irgendwann fragen, wieso sie sich überhaupt noch anstrengen, wenn das Ganze genauso honoriert wird wie der „Dienst nach Vorschrift“ der*des Kolleg*in. Sie sollten also zeitnah reagieren, sobald Sie dieses Verhalten bemerken.
Wie können Sie Quiet Quitting vorbeugen?
Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Nur zufriedene Arbeitnehmer*innen sind leistungsfähige Arbeitnehmer*innen. Taucht Quiet Quitting vermehrt in Ihrem Unternehmen auf, können Sie also zwei Dinge tun: es hinnehmen und sich ärgern oder es als Chance und Anstoß verstehen, etwas zum Besseren zu verändern.
Denn Ihre Mitarbeiter*innen werden nicht aus bösem Willen zu Quiet Quittern, sondern aus Überforderung, Hilflosigkeit und/oder weil sie sich nicht wertgeschätzt fühlen. Es kann ein erster Schritt zu einer gesunden Work-Life-Balance sein, aber auch die Reißleine kurz vor dem Burnout. Hier sind also Fingerspitzengefühl, Empathie und Selbstreflexion gefragt – und im besten Falle können Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitenden das Ruder herumreißen und eine Arbeitsumgebung schaffen, bei der niemand mehr zum Quiet Quitting neigt.
Abgesehen von individuellen Wünschen und Vorstellungen jedes*jeder Einzelnen können hierbei folgende Maßnahmen helfen:
- Grenzen der Mitarbeitenden respektieren und eine gesunde Work-Life-Balance fördern
Fordern Sie keine Überstunden oder eine ständige Erreichbarkeit ein. Macht die Mitarbeiterin aus der Buchhaltung pünktlich Feierabend, ist das okay. Möchte Ihr HR Business Partner im Urlaub nicht erreichbar sein, ebenfalls. Ihre Mitarbeitenden ziehen diese Grenzen nicht, um Ihnen als Arbeitgeber*in zu schaden, sondern weil sie auf sich und ihre Bedürfnisse achten. Und das ist positiv zu bewerten, denn Leistung erbringen kann niemand, wenn er*sie auf dem Zahnfleisch geht oder aus dem letzten Loch pfeift.
Und: Im Idealfall leben Sie als Führungskraft das Ganze auch noch vor, damit sich niemand unterschwellig unter Druck gesetzt fühlt, ebenfalls länger zu bleiben.
Sollten – weil es gerade zum Beispiel einen personellen Engpass gibt oder eine Deadline eingehalten werden muss – Ihre Mitarbeitenden freiwillig Überstunden machen oder auch aus dem Urlaub heraus arbeiten, honorieren Sie diesen Einsatz umso mehr. - Mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten
Zu einer besseren Work-Life-Balance tragen auch mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten bei – insofern in Ihrem Unternehmen möglich. Gerade (alleinerziehende) Eltern oder pflegende Angehörige sind dankbar, wenn sie ihre Präsenzzeiten etwas freier gestalten können, um z. B. mal jemanden abholen, Mittagessen machen oder Termine wahrnehmen können. - Gesundheitliche Vorsorge
Die mentale und physische Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden sollte Ihre oberste Priorität sein. Natürlich gibt es hierzu auch gesetzliche Regelungen, Ihre Mitarbeitenden freuen sich jedoch, wenn Sie hier mehr als das gesetzliche Minimum unternehmen: vom individuell passend eingerichteten Arbeitsplatz bis hin zu Weiterbildungen zu Stressreduktion – den Möglichkeiten sind hier keine Grenzen gesetzt.
Auch auf den ersten Blick nicht offensichtliche Maßnahmen wie eine offene Kommunikation, klar formulierte Erwartungen oder eine faire Bezahlung (s. u.) gehören zu einem Arbeitsumfeld, in dem sich alle wohlfühlen und engagiert arbeiten. - Austausch fördern
Quiet Quitter ziehen sich kommunikativ eher zurück, sowohl im persönlichen Kontakt zu den Kolleg*innen als auch in Meetings oder anderen Zusammenkünften, in denen Dinge besprochen oder beschlossen werden. Dieses Problem ist durch die Pandemie verstärkt worden, als viele Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen ins Homeoffice geschickt haben – und diese im schlimmsten Fall zu Einzelkämpfer*innen wurden. Dagegen helfen können eine zentrale Kommunikationsplattform, regelmäßige (digitale) Treffen, in denen jede*r von seinen*ihren Aufgaben berichtet, und Teamevents. Und: Kamera anmachen! - Faire, existenzsichernde Bezahlung
Existenzängste sind nicht schön. Und das Gefühl zu haben, dass der Kontostand trotz Arbeit nicht (wirklich) zum Leben reicht, auch nicht. Um dem entgegenzuwirken, sollten Sie angemessene Gehälter und einen Inflationsausgleich zahlen, Mehrarbeit honorieren und Überstunden auszahlen. Ist Ihnen das aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht möglich, sprechen Sie offen mit Ihren Mitarbeitenden, damit nicht der Eindruck entsteht, Ihnen sei Leistung nichts wert. Das führt nur zu Frustration. - Klare und transparente Kommunikation
Wo wir gerade bei „offen“ sind: Kommunizieren Sie allgemein offen und ehrlich und ermutigen Sie auch Ihre Mitarbeitenden, dies zu tun. Nur so bauen diese Vertrauen auf, fühlen sich wertgeschätzt. Wenn Sie Ängste, Nöte und Sorgen ernst nehmen, ist die Bereitschaft, Ihnen ebenfalls so zu begegnen und sich zu engagieren, deutlich höher. - Erreichbare Ziele und klar formulierte Erwartungen
Wissen all ihre Mitarbeitenden, welche Erwartungen an sie gestellt werden, wissen sie auch, in welchem Rahmen sie sich bewegen können, welche Ziele sie erreichen sollen und wie sich ihre Entwicklung in Ihrem Unternehmen gestalten wird. Das motiviert, schafft klare Verhältnisse und eröffnet Perspektiven, sodass gar nicht erst ein Gefühl des „Ich weiß nicht, wo es für mich hingeht“ entsteht. - Sonstige Benefits – gerne auch individuell passend
Eine faire Bezahlung, auch von Überstunden, ist das eine. Sonstige Benefits das andere. Anerkennung geht auch nicht-monetär und individuell zugeschnitten. Werden Sie kreativ und denken Sie über den klassischen Obstkorb hinaus, denn alles, was Sie von anderen Arbeitgeber*innen unterscheidet, bindet Ihre Mitarbeitenden an Ihr Unternehmen und motiviert, auch mal die Extrameile zu gehen. Dazu zählt auch ein wertschätzendes, schlichtes „Danke“.
Sie sehen: Quiet Quitting ist nicht zwangsläufig schlecht, sondern kann auch eine Chance sein, etwas zu verbessern. Vorausgesetzt, Sie sind bereit, Ursachenforschung zu betreiben und die Sorgen und Nöte Ihrer Mitarbeitenden ernst zu nehmen.
Und übrigens: Eine gute „Versicherung“ gegen Quiet Quitting ist neben allen oben genannten Maßnahmen eine gut aufgestellte, authentische Employer Brand, mit der Sie genau die Mitarbeitenden ansprechen, die in Ihr Unternehmen passen. Gerne unterstützen wir Sie bei diesem Thema.