Gendersensibel formulierte Stellenanzeigen: mehr als ein „(m/w/d)“

Vanessa Lellig
Juni 2023

Geschlechterklammer, Gendersternchen und -doppelpunkt, Unterstrich, Binnen-I, Asterisk oder geschlechtsneutral: Wie Sie prinzipiell korrekt gendern, haben wir bereits besprochen – ist dem Thema also nicht schon Genüge getan? Jein. Denn wenn Sie nicht nur einen Tobias oder einen Sebastian ansprechen wollen und händeringend nach weiblicher Besetzung suchen, bedarf es mehr als nur gegenderter Personenbezeichnungen. Frauen (und alle anderen Geschlechter) haben andere Erwartungen an einen (neuen) Arbeitgeber, sodass Sie hier etwas sensibler vorgehen müssen, um diese Zielgruppe anzusprechen – aber keine Sorge, wissen Sie, worauf zu achten ist, ist auch das kein Hexenwerk.

Der Unterschied zwischen gendern und gendersensibel

Geben Sie „gendersensibel“ in der Suchmaschine Ihres Vertrauens ein, werden Sie hauptsächlich Artikel bzw. Beiträge angezeigt bekommen, die sich damit befassen, wie Personenbezeichnungen gegendert werden.  

Das trifft es jedoch nicht zur Gänze, denn es gehört ein wenig mehr dazu als bloß die oben genannten sprachlichen Kennzeichnungen, die alle Geschlechter miteinbeziehen sollen.
Auch wenn Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung in aller Munde sind, gibt es doch ein paar Unterschiede mehr zwischen dem „m“, dem „w“ und dem „d“ als grammatikalische Konstrukte. Die einzelnen Geschlechter legen Wert auf unterschiedliche Dinge und fühlen sich von unterschiedlichen Begriffen – meist unbewusst – angesprochen. Auch wenn diese unterschiedlichen Präferenzen nicht unbedingt etwas mit dem Geschlecht zu tun haben, sondern z. B. auch mit der Generation, ist der Aspekt auf keinen Fall zu unterschätzen.

Die Geschlechter und ihre Ansprüche

Die Popkultur verkündet es schon seit längerem von den Dächern: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Davon abgesehen, dass es mehr als diese beiden Geschlechter gibt, ist es natürlich mitnichten so einfach. Geschlechterstereotype haben wir alle im Kopf, da sich diese auch heute noch fest in der Gesellschaft manifestiert halten.

Aber oftmals stimmt es schon: Die Geschlechter unterscheiden sich, besonders in ihren Ansprüchen an einen (neuen) Arbeitgeber.
In Umfragen werden derzeit vor allem Frauen und Männer (bzw. jene, die sich als solche identifizieren) befragt und zwischen diesen beiden Geschlechtern lassen sich verschiedene Bedürfnisse ausmachen. Frauen erwarten von Ihrem Arbeitsverhältnis z. B. eher eine flexible Arbeitszeiteinteilung, ein gutes Arbeitsklima oder Remote Work als Männer. Diese hingegen wollen Spaß und Erfüllung im Job oder die Aussicht auf ein hohes Einkommen.

Und an dieser Stelle gehört betont: Das alles beruht auf reiner Statistik und muss nicht immer zuverlässig für jede*n Einzelne*n zutreffen.

Kommunale und agentische Wörter – wissen, wo was passt

1966 veröffentlichte der US-amerikanische Psychologe David Bakan seine Theorie der „Duality of Human Existence“, laut der Menschen von zwei gegensätzlichen Faktoren angetrieben werden: Agency („agentisch“) oder Communion („kommunal“).

Menschen mit ersterem Persönlichkeitsmerkmal gelten als leistungs- und handlungsorientiert, zielstrebig, wollen sich selbst behaupten und unabhängig sein. Diese Eigenschaften werden eher männlichen Personen zugeordnet. Personen mit einem „kommunalen“ Persönlichkeitstypus hingegen sind gemeinschaftsorientiert, offen, streben nach Zugehörigkeit und dem Aufbau von Beziehungen – und gelten als weiblich.

Schild an einer Tür mit Zeichen für Frau und Mann

Diese beiden Pole bilden natürlich nur zwei Extreme ab und können die Persönlichkeit eines Menschen nicht vollständig erfassen. Interessant ist jedoch, dass diesen beiden Polen Begriffe zugeordnet werden können, die sich häufig auch in Stellenanzeigen finden. Entscheidungsfreudig, durchsetzungsfähig, selbstsicher, zielorientiert und eigenständig sind beispielsweise agentische Wörter. Verantwortungsbewusst, zuverlässig, Teamarbeit, partnerschaftlich, beraten und engagiert hingegen sind kommunale Wörter.

Aufgrund ihrer Sozialisation fühlen sich die Geschlechter entweder eher von agentischen oder von kommunalen Formulierungen angesprochen. Das muss nicht immer so sein, wie das Stereotyp vorgibt (agentisch = männlich, kommunal = weiblich), ist aber dennoch häufig der Fall. Denn die von uns allen verinnerlichten Geschlechterstereotype führen dazu, dass von Männern und Frauen erwartet wird, dass sie sich entsprechend verhalten. Männer also ambitioniert, offensiv oder willensstark und Frauen empathisch, freundlich oder kollegial.

Das Ganze läuft natürlich eher unbewusst ab und die Personen denken nicht „Das ist ein männliches Wort, ich bin ein Mann, deswegen passt die Stelle zu mir“. Im umgekehrten Falle kann eine vor agentischen Wörtern strotzende Stellenanzeige jedoch so abschreckend auf Frauen wirken, dass sie sich nicht bewerben. Und selbst wenn sie sich bewerben, werden sie im Bewerbungsprozess womöglich entsprechend der Vorgaben bewertet – und nicht eingestellt, weil sie sich eher kommunal präsentieren statt agentisch.
Übrigens: Sind Stellenanzeigen überwiegend kommunal gestaltet, bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass Männer sich nicht bewerben, im Gegenteil. Eine kommunale Formulierung bringt also nur Vorteile.

Mehr als nur Wörterkategorien: Worauf es sonst ankommt

Frauen bewerben sich eher nicht auf eine Stelle, bei der sie das Gefühl haben, nicht alle Anforderungen zu erfüllen. Männer versuchen es einfach mal. Zu diesem Ergebnis kommen immer wieder Studien und Umfragen.
Doch Sie können dem ein wenig entgegenwirken: Überfrachten Sie Ihre Stellenanzeigen nicht mit Anforderungen und suchen Sie nicht nach der eierlegenden Wollmilchsau, die es sowieso nicht gibt.

Heben Sie hervor, dass bestimmte Kompetenzen dringend erforderlich sind, um die Tätigkeit auszuüben, manche aber nur ein „nice to have“ sind. Bleiben Sie realistisch und kommunizieren Sie das Idealbild, an dem sich Ihre interne Ausschreibung orientieren und die als Schablone für den Bewerbungsprozess dienen mag, nicht 1:1 nach außen.

Damit geht einher, dass Sie Chancen einräumen sollten, wenn ein*e Bewerber*in mal nicht hundertprozentig passt. In Zeiten des Fachkräftemangels wählerisch zu sein, ist schwierig.

Außerdem können Sie zurückhaltendere Personen gezielt ansprechen: Schreiben Sie ein, zwei Sätze in Ihre Anzeige, in denen Sie diejenigen ermutigen, sich zu bewerben, die nicht alle Anforderungen erfüllen.
An dieser Stelle können Sie auch all jene ansprechen, die vor besonderen Herausforderungen im Leben stehen: alleinerziehende Mütter und Väter, Geflüchtete, Menschen ohne Schulabschluss, Menschen mit Behinderung … .

Was heißt das konkret für Ihre Stellenanzeigen?

Ob und wie Sie Ihre Stellenanzeigen und Ihren Auftritt als Arbeitgeber*in danach ausrichten, bleibt natürlich letzten Endes Ihnen überlassen. Doch gerade in Bereichen, in denen Männer stark repräsentiert sind (wie z. B. der Industrie oder dem Handwerk), lohnt es sich, auch die anderen Geschlechter anzusprechen – und Potenziale zu erschließen, die bisher vielleicht brachlagen.  

Betrachten Sie zunächst den Status quo und stellen Sie Ihre Stellenanzeigen (und im Idealfall auch Ihren gesamten Außenauftritt) auf den Prüfstand:

  • Wie sehen Ihre Stellenanzeigen aus, finden sich darin vielleicht überwiegend agentische Wörter? Falls ja, wie könnten Sie Ihre Stellen bewerben und dabei mehr kommunale Wörter verwenden?
  • Die Bilderwelt trägt ebenfalls einen großen Teil dazu bei, alle Geschlechter anzusprechen. Arbeiten nicht nur Männer bei Ihnen, zeigen Sie das auch bildlich in Ihren Stellenanzeigen.
  • Können Sie als Arbeitgeber*in mit Angeboten punkten, die auch die anderen Geschlechter ansprechen, wie beispielsweise Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeitmodelle, Weiterbildungsangebote, flache Hierarchien, mobiles Arbeiten oder geteilte Führungsverantwortung? Falls ja, prima! Dann schreiben Sie es in Ihre Stellenanzeigen, auf Ihre Website, machen Sie damit Werbung für sich als Arbeitgeber*in!
  • Bleiben Sie in Ihren Anforderungen an zukünftige Mitarbeitende realistisch und stellen Sie dies auch entsprechend dar: Was ist ein Muss, was ein Plus? Muss das Profil wirklich zwölf Punkte umfassen oder reichen vielleicht auch sieben?
  • Sprechen Sie zurückhaltende Personen oder Personen, die „Gepäck“ mitbringen, direkt an und ermutigen Sie diese, sich zu bewerben.

Das Wichtigste hierbei ist wie so oft: Bleiben Sie authentisch. Ist Ihr Betriebsklima eher kompetitiv orientiert, bringt es nichts, wenn Sie den Zusammenhalt im Team loben und nach partnerschaftlich arbeitenden Teamplayer*innen suchen. Diese werden dann nämlich entweder gar nicht bei Ihnen anfangen wollen, wenn sie diese Diskrepanz spüren, oder im schlimmsten Falle nach ihrer Einstellung unglücklich bei Ihnen sein. Und das schadet dann in beiden Fällen Ihrer Reputation.

Für die ersten Schritte sei der Genderdecoder der TU München empfohlen, ein sehr gutes Tool, entstanden aus einem Projekt zur Förderung von Frauen in MINT-Führungspositionen in der Wissenschaft.


Benötigen Sie Unterstützung zum Thema gendersensible Formulierungen, melden Sie sich gerne bei uns – wir freuen uns darauf, „Kundys“* fit in diesem Thema zu machen.

* Zu dieser seltsam anmutenden Formulierung ein kleiner Schmunzler zum Abschluss – bitte verstehen Sie dies nicht als wirklich ernstgemeinte Empfehlung für Ihre Stellenanzeigen (außer, Sie wollen sich hervortun als äußerst progressive*r Arbeitgeber*in):
Auch wir als „Profis“ lernen immer noch dazu und sind bei unseren Recherchen über das Entgendern nach Phettberg (seines Zeichens Schriftsteller und Künstler aus Österreich) gestolpert. Es geht ganz einfach: Für alle Personenbezeichnungen verwenden Sie den geschlechtsneutralen Artikel „das“ (Plural „die“) und hängen an das Ende des Wortstamms ein „-y“ bzw. im Plural ein „-ys“ an. Aus dem maskulinen „der Bewerber“ wird z. B. das neutrale „das Bewerby“. Aus „Kandidaten“ das Wort „Kandidatys“.
Wie gesagt, nicht ernstgemeint, aber vielleicht einen Schmunzler wert.